Auf Basis der Polyvagal-Theorie von Stephen W. Porges

Vergebung beginnt dort, wo du deine Geschichte neu erzählst
Du bist wütend.
Nicht dieses leicht flackernde, latte-macchiato-kompatible „Ich-bin-ein-bisschen-sauer“-Wütend.
Nein.
Eher ein „Ich-könnte-einen-Vulkan-mit-meiner-Stirn-zum-Ausbruch-bringen“-Wütend.
Ungesalzen, ungefiltert, unverzeihlich.
Denn: Dein Mann hat dich betrogen.
Nach 20 Jahren Ehe.
Nach zwei Jahrzehnten gemeinsamer Steuererklärungen, bohrender Zahnarztbesuchen, halbgaren Italienurlauben und dem Zusammenbauen von Ikea-Regalen mit fehlenden Schrauben:
Einfach weg.
Mit einer Frau, die noch TikTok-Tänze macht, ohne Rückenschmerzen zu bekommen. Die beim Lachen Sommersprossen zeigt und jeden Smoothie fotografiert, bevor sie ihn trinkt.
Die „Manifestieren“ sagt, wenn sie sich einen Parkplatz wünscht.
Einfach gegangen.
Plötzlich. Wortlos. Gefühlskalt.
Wie eine Serienfigur, die aus dem Skript gestrichen wird – Joey Tribbiani lässt grüßen.
Und da sitzt du nun.
Mit deinen Fragen.
Deinem Schmerz.
Deiner Wut.
Du schläfst, als würde dein Inneres nie zur Ruhe kommen.
Dein Magen rebelliert — ein ständiges Drücken, ein Ziehen, als würde Gollum höchstpersönlich mit seinen klammen Fingern darin herumwühlen – suchend, kratzend, unermüdlich.
Du versuchst zu funktionieren, aber selbst der Supermarkt fühlt sich an wie ein Minenfeld:
Der Joghurt erinnert dich an eure letzte Frühstücksroutine.
Der Duft von Basilikum an diesen missglückten Pestoabend.
Und sogar die Kassiererin wirkt plötzlich verdächtig verständnisvoll.
Deine Freundinnen stehen zu dir.
Sie rufen mit Sekt in der Hand und Anti-Aging-Masken im Gesicht:
„Vergiss ihn. Der war es nicht wert. Du bist besser dran ohne ihn.“
Klingt logisch.
Aber nichts davon löst diesen fiesen Knoten in dir – dieses Gefühl, verraten worden zu sein.
Zerzaust, zerlegt, zurückgelassen.
Du willst nicht vergeben.
Du willst nicht heilen.
Du willst Gerechtigkeit. Eine göttliche Retourkutsche. Oder wenigstens eine Torte, die kalorienfrei ist.
Und gleichzeitig spürst du tief drin:
Wenn du an dieser Wut festhältst, wirst du nie wieder frei sein.
Obwohl er gegangen ist – lebt er weiter in deinem Nervensystem, in deinem Körper, in jeder Zelle, die sich verkrampft, sobald du nur seinen Namen hörst.
Er ist längst ausgezogen – aber er wohnt immer noch in deinen Gedanken. Mietfrei. Ungefragt.
Und schlimmer: mit Dauerabo.
Der Moment, in dem du plötzlich ahnst, dass du dich selbst befreien musst
Vielleicht stolperst du über einen Satz. Ein Buch von Colin C. Tipping. Oder ein Gespräch.
Vielleicht ist es eine Influencerin, die plötzlich etwas sagt, das in dir hängen bleibt – so unscheinbar, so beiläufig, dass du es erst später realisierst.
Und irgendetwas darin trifft dich unerwartet tief:
„Es ist nicht der andere, der dich gefangen hält – es ist deine Geschichte über ihn.“
Zuerst willst du den Satz zurückschicken. Am liebsten mit einem:
„Danke, aber ich bin gerade beschäftigt mit Groll.“
Aber dann denkst du weiter.
Denn was, wenn es wirklich nicht darum geht, sein Verhalten zu entschuldigen?
Sondern dich selbst aus der Rolle des ewigen Opfers zu lösen?
Was, wenn du aufhörst, auf ein Happy End zu warten – und stattdessen selbst ein neues Kapitel aufschlägst?
Vielleicht spürst du: Da ist was dran.
Was, wenn du nicht heilst, obwohl du verletzt wurdest – sondern gerade deshalb?
Und plötzlich wird aus deiner Wut eine Frage:
Was will ich wirklich loswerden – ihn oder meine Geschichte über ihn?
Dein Körper spricht. Höre endlich hin.
So sehr dein Verstand versucht, alles zu analysieren – dein Körper hat längst reagiert.
Deine Trauer legt sich bleischwer auf deinen Magen.
Dein Schlaf ist unruhig – als würde ein innerer Regisseur Szenen deines Schmerzes in Endlosschleife abspielen.
Immer dieselben Bilder. Immer dieselben Fragen.
Still. Zermürbend. Bleiern.
Du greifst zum Handy, scrollst stundenlang, hoffst auf Ablenkung – aber selbst der Algorithmus spielt dir Liebeslieder zu.
Netflix bietet dir romantische Komödien an, als wolle es Salz in deine seelischen Wunden reiben.
Und dein Kühlschrank scheint bei jeder Öffnung zu sagen: „Iss nicht den Schmerz weg – fühl ihn.“
Und vielleicht beginnst du langsam zu ahnen:
Es geht darum, die Gefühle, die mit dem Schmerz verbunden sind, zu fühlen – und dann weiterzugehen.
Es geht darum, die Energie loszulassen, die an der Geschichte klebt.
Es geht darum, dich selbst wieder zu spüren.
Die stille Revolution beginnt in dir
Irgendwann beginnst du, die Geschichte umzuschreiben.
Nicht für ihn – für dich.
Du erkennst:
Du bist nicht die Frau, die verlassen wurde.
Du bist die Frau, die ihren eigenen Wert wiederfindet.
Die Frau, die sich selbst wieder aufrichtet – auch wenn anfangs alles knirscht, knackst und knarzt.
Wie eine alte Holztür, die wieder geöffnet wird.
Die beginnt, dem Körper zuzuhören.
Er hat so lange geschrien – und du hast ihn mit To-Do-Listen und Kaffee beruhigt.
Jetzt lässt du ihn sprechen.
Du gibst ihm Raum, all das loszulassen, was du so lange festgehalten hast.
Vielleicht unterstützt dich Kinesiologie dabei – eine sanfte und tief wirksame Methode, um Blockaden zu lösen. Nicht mit honigsüsser Zuckerglasur, sondern mit echter Verbindung zu deinem Nervensystem, zu deinen Emotionen, zu deiner Wahrheit.
Oder du sitzt einfach still da, atmest tief ein – und spürst dich wieder.
Unverstellt. Roh. Echt.
Und plötzlich atmest du wieder tiefer. Befreiter.
Du sagst nicht mehr: „Warum hat er mir das angetan?“
Sondern: „Was kann ich daraus lernen?“
Du beginnst sogar zu sagen – leise, dann lauter:
„Danke, dass du gegangen bist. Du hast mich gezwungen, mir selbst zu begegnen.“
Und du meinst es.
Nicht, weil der Schmerz schön war. Sondern weil er dich zu dir zurückgeführt hat.
Warum Vergebung kein Kuschelkurs ist
Vergebung ist kein Freispruch für das Verhalten anderer.
Es ist kein „Ist-schon-gut“.
Es ist kein Gummibärchenpflaster auf tiefe seelische Wunden.
Vergebung heißt:
Ich höre auf, mich weiter selbst zu verletzen – mit der Geschichte, die ich immer wieder erzähle.
Es heißt:
Ich nehme meine Würde zurück – nicht, weil du es verdienst, sondern weil ich es verdiene.
Vergebung ist kein süßes Märchen mit Happy End – sondern ein stiller Akt innerer Stärke.
Ein „Ich lasse los“ in einer Welt, die „Halte fest!“ ruft.
Es ist Revolution auf leisen Sohlen.
Die unerwartete Freiheit
Eines Tages siehst du ihn wieder. Zufällig, natürlich. (Das Universum hat Sinn für Timing.)
Er läuft die Strasse entlang. In der Hand ein Coffee-to-go.
Er schaut weg, irritiert, ein bisschen beschämt.
Du aber lächelst. Nicht triumphierend. Nicht zynisch. Nicht aus Stolz.
Sondern aus echtem inneren Frieden.
Du bist frei. Leicht.
Nicht, weil alles wieder gut ist – sondern weil du aufgehört hast, an der alten Geschichte festzuhalten.
Du hast dich selbst befreit.
Und in diesem Moment weisst du:
Du hast nicht ihn verloren – du hast dich selbst zurückgewonnen.